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Der früheste Einsatz eines wissensbasierten Systems zur Diagnostik wurde durch den am Landeskrankenhaus Schleswig (das in der Historie der MI schon öfter aufgetreten ist) amtierenden Irrenarzt Steenberg zu verzeichnen. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war der Zusammenhang zwischen Syphilis und progressiver Paralyse noch nicht bekannt. Steenberg arbeitete vor seiner Tätigkeit in Schleswig dermatologisch im Krankenhaus der Stadt Kopenhagen (das damals als Paris des Nordens bekannt war) und behandelte dort alle Syphilitiker. Einmal machte er mit Kollegen Visite im St. Hans Hospital - eine psychiatrische Anstalt - und stellte fest, dass er eine beträchtliche Anzahl der Patienten persönlich kannte. Bei allen stellte sich heraus, dass es sich um Paralytiker handelte, die er in seinem Krankenhaus lange vorher wegen einer Syphilis behandelt hatte. Der Zusammenhang der beiden Krankheiten war ihm sofort klar. Er untermauerte dies später noch durch quasi epidemiologische Studien [13]. Das war sozusagen das erste wissensbasierte System im Kopf eines Individuums.

Reichertz und Köhler, der damals 1985 in Tempe, Ariz. als Gastwissenschaftler an der ASU (Arizona State University) war, haben sich das gerade ein Jahr zuvor von der IBM wissenschaftlichen Institutionen zur Verfügung gestellte EARN (European Academic Research Net) zu Nutze gemacht und die Möglichkeiten des einfachen Chattens in diesem System (in den USA hieß es Bitnet) ziemlich intensiv zur Kommunikation benutzt, In Arizona war es 7 Uhr morgens und die Uni noch ziemlich ruhig, in Hannover war es 22 Uhr und die MHH schon wieder ruhig. Die beiden diskutierten über den Zweck und die Möglichkeiten des Einsatzes der künstlichen Intelligenz in der Medizin. Zum Schluss tippte Reichertz: 'Versuchen wir es lieber erst einmal mit der natürlichen Intelligenz'. Das war von ihm nicht abwertend gemeint, sondern er wollte nur darauf hin gewiesen haben, dass die Arbeiten an diesen Problemen seit den Anfängen in den 50ern in den USA durch Lusted und Ledley [4] bis in das neue Jahrhundert hinein immer abwechselnd von Euphorie und Skepsis geprägt waren.

Bereits in den 60er Jahren - praktisch zeitgleich mit der verstärkten Einführung von Computern in die Medizin - erkannten Wissenschaftler wie Reichertz (Hannover) und de Dombal (Leeds), dass der Computer einen wesentlichen Beitrag zur Diagnosefindung leisten kann [3, 6-8]. Wissenschaftler hielten es damals durchaus für möglich, dass der Computer in absehbarer Zeit den Arzt ersetzen könne. Nachdem sich die erste Euphorie gelegt hatte, sah man ein, dass der Computer den Arzt nicht ersetzen, aber sehr wohl tatkräftig unterstützen könne. Ein eindrucksvoller Beweis dieser These gelang in den Jahren ab 1969 dem an der Universität Leeds lehrenden und forschenden Tim de Dombal. Das von ihm und Mitarbeitern entwickelte computerunterstütztes Diagnoseprogramm bei akuten Abdominalbeschwerden galt und gilt als das Paradebeispiel der wissensbasierten Diagnose- und Therapieunterstützung [2].

Reichertz stellte damals schon verschiedene Anwendungsmöglichkeiten des Computers in der Medizin vor, insbesondere die Unterstützungsmöglichkeiten bei der Diagnosestellung [8]. Am Beispiel der Computer-Diagnostik bei Schilddrüsenerkrankungen stellten er und seine Mitarbeiter bereits 1965 ein in Fortran II geschriebenes System vor. Es berechnete unter Verwendung des Bayesschen Theorems die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der drei Funktionsstufen: hypo-, eu- und hyperthyreot aus den anamnestischen Angaben und klinischen Zeichen allein, aus den Laborwerten allein und dann aus beiden Datengruppen gemeinsam. Die Trefferquote lag hinsichtlich des Funktionszustandes der Schilddrüse des jeweiligen Patienten bei 95% [9-11].

Auch der Wiener J. Schmid arbeitete schon 1967 an Problemen der Computerdiagnostik [12]. Es gab kaum ein Gebiet der MI auf dem Schmid nicht tätig war. Hier ist auch K. Buchmüller zu nennen, der mit seiner Publikation 1969 über die Anwendung der Datenverarbeitung für die Diagnostik in der damaligen DDR entsprechende Aufmerksamkeit erregte [1].

Auf einem Gebiet haben wissensbasierte Expertensysteme jedoch zweifelsohne zunehmend Anwendung gefunden: bei der Unterstützung des Medizinstudiums. Einer der ersten, die dies erkannte war wiederum schon 1972 de Dombal [3].

Seit Dezember 1970 wurde an der Medizinischen Hochschule Hannover von Möhr das Clinical Decision Support System (CDSS) der Firma IBM erprobt. Dessen Ziel lag weniger in der diagnostischen Entscheidungshilfe sondern in der Unterstützung beim praktischen Vorgehen des Arztes: was ist zu tun, was ist aus zu schließen und welche Symptome sollen näher spezifiziert werden [5].

Die Gruppe um Thurmayr (München) versuchte 1977 mit der computerunterstützten Bestimmung des Schweregrades bei chronischer Bronchitis erstmalig eine automatische Klassifikation zu erstellen. Dieser Versuch scheiterte, da die nachträglich theoretisch erarbeiteten Variablen nicht auf das vorhandene Datenmaterial anwendbar waren [14].

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